Bodega Rico Nuevo – willkommen in Spaniens neuer Winzerelite
Mitten im Nirgendwo befindet sich der aktuelle Hotspot für den „neuen“ spanischen Rotwein: die Sierra de Gredos. Die was? Hotspot? Nun ja, ich lehne mich weit aus dem Fenster, denn eigentlich ist die Sierra de Gredos immer noch völlig unbekannt, selbst für viele Weinliebhaber in Spanien. Touristen gibt es hier kaum, vielleicht der eine oder andere Wanderer und Rennradfahrer, aber ein Genusstourismus wie im Baskenland, Burgund oder dem Piemont steckt hier noch in den Kinderschuhen. Und doch vereint diese dünn besiedelte Gegend westlich von Madrid optimale Bedingungen für phantastische Weinqualitäten und es steht ihr eine große Zukunft bevor. Einige Glückliche haben das schon erkannt und importieren bereits Weine nach Deutschland.
Die Pioniere der dortigen Winzerszene sind Dani Landi, Marc Isart und Fernando Garcia mit ihrem Commando G. Sie erkannten als erste das Potenzial der Sierra de Gredos, der Gebirgszug zu dem sich drei Herkunftsbezeichnungen zählen lassen. D.O. Cebreros, D.O. Vinos de Madrid und D.O. Mentrida. Es zogen einige nach und mittlerweile haben sich mehrere auf Qualität setzende Weingüter in der Region konsolidiert, der letzte Aufsehen erregende Neuzugang der D.O. Cebreros ist eben die Bodega Rico Nuevo von Juan Andrès Martín und dem am Weingut beteiligten Önologen Julio Prieto. Gegründet wurde das Projekt 2016 und binnen Rekordzeit zählen sie schon zur Avantgarde der neuen spanischen Weingüter. Was ist das Besondere an der Sierra de Gredos und den Weinen von Rico Nuevo?
Stolz darauf vom Land zu sein
Juan Andrès, genannt Juanan, hat Land von seinem Großvater geerbt. Es befindet sich weitestgehend in der Gemeinde Burgohondo, einem kleinen Dorf der Provinz Ávila. Bis 2016 wurde das Meiste davon verpachtet, einige Parzellen davon gar nicht mehr bewirtschaftet. Doch der junge Juanan, eigentlich Bäcker wie die ganze Familie, hatte andere Pläne. Innerhalb kurzer Zeit hat er zusammen mit seiner Familie ein veritables Weingut aufgebaut. Die alten Weinberge (30 Parzellen, insgesamt 10 Hektar) wurden wieder auf Vordermann gebracht. Hier liegt der Fokus der Arbeit. In Gredos sind die neuen Weinmacher eher Weingärtner und kümmern sich vor allem um die Rebsorte Garnacha. Auf kargen Granitböden entstehen hier Trauben, die feinsinnige Winzer zu atemberaubenden Weinen keltern. Sie sind identitätsstiftend für eine neue Generation an modernen und stolzen Weinbauern.
Man pflegt hier in Gredos einen Weinstil, der einzigartig ist und überall auf der Welt neue Anhänger findet: Duftig eleganter und feingliedrig strukturierter Rotwein aus Garnacha. Wir kennen die urspanische (aragonesische um historisch korrekt zu bleiben) Garnacha eigentlich als sehr mediterrane Rebsorte, die Hitze und Dürre ertragen kann wie kaum eine andere und deswegen zum internationalen Star geworden ist, selbst in Südfrankreich, Sardinien, Kalifornien oder im südafrikanischen Swartland. Doch sie ist klimatisch wandelbarer als vermutet, und passt sich gut an ihre Umgebung an und spiegelt förmlich den Ort und den Jahrgang wider.
Low Latitude – High Altitude
Hier in der Sierra de Gredos muss Garnacha eben mit äußerst kargen Granitgestein und einer leichten Sandauflage auskommen, viel Wässer und Nährstoffe speichert diese Art von Boden nicht. Garnacha aus Gredos erscheint daher nie üppig, mächtig, alkoholstark und robust, sondern feingeschliffen mit floralen Noten und vielen roten Beerenaromen. Dazu kommt meist eine zarte Fruchtsäure, die den Geschmack lange am Gaumen trägt. Einen eindrucksvolleren Beweis dafür, dass Garnacha den Beinamen „Pinot des Südens“ verdient, findet man nicht.
Solch ein feines Florett kann man als Winzer in derartig südlichen Breitengraden nur führen, wenn kühle Nächte die Vegetationszeit verlängern und die Säure in den Beeren dadurch erhalten bleibt. Die Weinberge von Rico Nuevo liegen zwischen 800 und 1200 Metern. Unglaublich hoch ist das. Viel Sonne, sehr heiße Sommer und äußerst kalte und lange Winter, vor allem aber riesige Tag-Nachtunterschiede bei der Temperatur. Das hilft gewaltig. Ein weiterer Vorteil sind die uralten Reben von Rico Nuevo, 80-120 Jahre. Generell ist Spaniens Rebbestand uralt, darauf wird später noch eingegangen. Ob Hitze, lange Dürre, viel Regen oder Kälte, alte Reben bringt nichts so schnell aus dem Gleichgewicht. Ein alter Rebstöck versorgt sich mit seinem tief in den Boden eingedrungenen Wurzelgeflecht selbst noch nach einem ganzen regenlosen Sommer. Und frieren tut er auch nicht so schnell. Für viele Touristen ist Spanien ja ein warmes Land. (Ich habe noch nie so sehr gefroren in meinem Leben wie in Àvila...)
So wenig Kellertechnik wie nötig
Bei Rico Nuevo wird im Keller mit zarten Eingriffen gearbeitet. Stahltankausbau für die jungen Weine und eine Mischung aus Edelstahl, 400 Liter-Eichenholzfässern und 1200 Liter-Betoneiern für die gehobene Qualität. Wohldosierter Feinschliff also, die Frucht möge bitte nicht von Holzeinflüssen kaschiert werden und die Mineralität der tollen Lagen soll sich mit der Zeit entwickeln. Natürlich wird nach biologischen Richtlinien gearbeitet und die Moste vergären mittels Naturhefen spontan. Man tut nichts, „begleitet“ ja nur die Natur etc. etc. (man kanns ja nimmer hören) Aber Achtung: Kontrolliertes Nichtstun ist komplizierter als gedacht, vor allem bei Garnacha, einer Rebsorte die schnell oxidiert, wenn man nicht aufpasst. Glauben Sie niemals einem Winzer, der sagt, dass er nichts tut... Er beobachtet genau wie der Most zum Wein wird und wenn das gut funktioniert, hat er eine Menge Arbeit hinter sich.
Rico Nuevos Weine
Der leider inflationär verwendete Begriff „Terroir“ ergibt hier tatsächlich Sinn und ist kein Blabla eines Marketingfuzzies, der selbst einem kellertechnisch verunstaltetem Cola-ähnlichen Rotwein dieses Prädikat noch geben würde. Bei Rico Nuevo haben wir es mit Terroir-Weinen zu tun. Sehen wir sie uns mal näher an. Das typische spanische Klassifizierungssystem in Crianza, Reserva und Gran Reserva hat hier nichts mehr verloren. Natürlich werden die Topweine länger ausgebaut, maximal 18 Monate jedoch. Entscheidend sind Güte und Potenzial der einzelnen Parzellen. Während die „Village-Weine“ eine Cuvee aus verschiedenen Parzellen sind, werden die drei Besten natürlich separat vinifiziert.
Der Einstieg in die Welt von Rico Nuevo, der RN Garnacha, ermöglicht ein ganz einfaches Kennenlernen der Garnacha-typischen Aromen, jedenfalls dieser feinen und grazilen Variante des kontinental-kastilischen Klimas. Kein Holzfass, nur im Stahltank ausgebaut. Florale Noten, rote Beerenaromen machen ganz ungeschminkt den RN einen high-level easy-drinking, (gottogott! diese Marketing-Amerikanismen...) es trifft den Nagel auf den Kopf. Ohne dass man sich übers Foodpairing, pardon, also einen Essensbegleiter Gedanken machen müsste, schlürft sich der Rico Nuevo durch seine lebhafte Art und frischen Säurestruktur runter. Ein Stück gereiften Ziegenkäse, eine Scheibe Iberico-Schinken, selbst mit einer komplizierten grünen Olive kommt er wunderbar klar. Julio Prieto möchte, dass der RN unmittelbaren Genuß vermittelt, das perfekt spanische Adjektiv dafür: „desenfadado“, was so viel heißt wie „unverkrampft, nicht böse, locker und unkompliziert“. Als Preis wird etwas um die 12€ verlangt.
Etwas seriöser ist dann der Villages-Wein aus Burgohondo, Vereda de las Tórdigas. Auch wenn genauso wie der RN nur im Stahltank ausgebaut wird, merkt man ein deutliches Plus an Struktur und Länge am Gaumen. Das besten Parzellen von Burgohondo werden dafür ausgewählt. Wieder diese frische Herbheit, rote und dunkle Beeren, Blütenduft und eine lebhafte Säurestruktur bei ganz feinpolierten Tanninen. Es vibriert ganz kraftvoll am Gaumen und bleibt dabei von Anfang bis zum Schluss ganz puristisch. 15€ muss man dafür berappen.
Es folgen zwei Einzellagen bei ca. 25€, die sich sehr voneinander unterscheiden: Barrera de Sol (dt. Sonnenschranke) aus der Lage El Zaudejo und Jirón de Niebla (dt. Nebelfetzen) aus der Lage El Sotillo. Jirón de Niebla schaut nach Norden, kühleres Mikroklima. Er vermittelt den Eindruck von finessenreicher Erhabenheit, dunkle Früchte, Gewürze und balsamische Noten. Eine unglaublich elegante Tanninstruktur macht ihn zu einem tollen Begleiter von edlen Fleischgerichten, Filet oder Kaninchenrücken. Der Barrera de Sol aus der Südlage kommt dann etwas imposanter rüber. Reifere Frucht, weichere Tannine, sehr erdig im Geschmack und generell etwas körperrreicher. Dazu stelle ich mir gerne die deftige Eintopfküche Spaniens vor. Ein Kichererbseneintopf zum Beispiel.
Der Spitzenwein kommt von einem sehr kleinen Weinberg auf 1200 Metern. La Quebrà spielt dann in einer anderen Liga. Die duftende Nase, zupackende Frucht, eine irre Intensität und feingeschliffene Tannine machen jeden Schluck zu einem Erlebnis. Bei einer Verfügbarkeit von 500 Flaschen wird er immer schnell ausverkauft sein und der Preis von 50€ noch weiter steigen. Sein Potenzial lässt sich nur schätzen und wir werden in einigen Jahren erleben, was daraus geworden ist. Schließlich ist das Weingut noch sehr jung.
Wo lässt sich Rico Nuevo in der spanischen Weinwelt einordnen?
Viele spanische Weinbergsparzellen sind so weit weg den Dörfern und Weingütern, dass nicht mal die Benzinkosten für die Traktorbewirtschaftung mit den Preisen für konventionelle Massenware amortisiert werden könnten. Die Weinberge wurden aufgegeben und liegen teilweise immer noch brach. Vielleicht kümmern sich noch die Großeltern ein wenig um die Weinberge, bis die es nicht mehr können oder wollen. So ungefähr war auch bei Rico Nuevo die Ausgangslage. Berühmte Granden der Spanischen Weinwelt wie Telmo Rodriguez oder Rafael Palacios hatten es schon vorgemacht. Sie erkannten früh das Potenzial der alten verlassenen Weinberge in den hintersten Winkeln des Landes, kauften sie für wenig Geld und kelterten aus ihnen hervorragende Qualitäten. So viele Top-Weine von heute sind so entstanden. Warum sollte das bei Rico Nuevo nicht auch funktionieren, wenn man den Weinbergsbesitz eh schon hatte? La Quebrà kann genauso ein Kultwein werden wie der Pegaso oder der Rey Moro. Rico Nuevo zählt jedenfalls jetzt schon zu den besten Weingütern in Gredos. Und die Entwicklung der Weinszene in Gredos steht exemplarisch für eine Bewegung, die das ganze Land erfasst hat und überall tolle neue Weingüter hervorbringt.
Kleiner Exkurs zum Schluss: Woher kommt dieser frische Wind in der spanischen Weinwelt?
Ein bisschen Landeskunde wird jetzt nötig, keine Sorge ich komme schnell auf den Punkt. Was wissen wir überhaupt über Spanien und seine Weine? Wir kennen die großen Zentren an den Küsten und die Hauptstadt Madrid als pulsierende Metropolen, befeuert durch Massentourismus und Technologisierung sind sie stark gewachsen und sehr schnelllebig geworden. Überall wurde gebaut, die Arbeitswelt hat eine große Transformation erlebt, kurzum Spanien ist, in den 80ern beginnend, zu einem modernen Land geworden und hat dabei einen riesigen Preis in Form von Verstädterung und Landflucht bezahlt. Wer mit dem Auto durch Zentralspanien fährt, sieht wie trist und verlassen dieses schöne Land sein kann.
Seit dem Beitritt in die EU 1986 orientieren sich fast alle Weinproduzenten am Exportmarkt, nicht nur in der Rioja und der Ribera del Duero. Für Neuanpflanzungen mussten die alten Rebstöcke nicht mal ausgerissen werden, man pflanzte einfach daneben oder dort wo maschinelle Bewirtschaftung möglich war. Riesige Projekte wurden in allen Wein produzierenden Regionen gestartet. Spaniens Weinwirtschaft wurde fit für Europa und den Weltmarkt getrimmt. Man versuchte es am besten mit Barrique ausgebauten vollreifen Rotweinen, die für wenig Geld viele Parker-Punkte erzielen konnten. Und es funktionierte bis 2008 sehr gut. Dann brach die internationale Bankenkrise über Spanien in extremer Härte herein und viele Produzenten, die nicht etabliert genug waren, konnten nicht weitermachen. Vor allen in den Regionen, die sich noch einen internationalen Namen verdienen mussten. Das traf nicht nur spezifisch die Weinwirtschaft sondern alle Bereiche der Wirtschaft, nur dass Wein einen bedeutend größeren Teil der Gesamtwirtschaft des Landes ausmacht als das in Deutschland der Fall ist. Kurz und gut, ein gutes Jahrzehnt Depression und Perspektivlosigkeit mit einer massiven Jugendarbeitslosigkeit ist das Ergebnis verantwortungsloser Investitionspolitik.
Eine ganze Generation von jungen Spanierinnen und Spanier war gezwungen sich neu zu orientieren. Wenn die Perspektive höchsten ein Dasein als „Mileurista“ bietet, also trotz Uni-Abschluss einen Vollzeit-Jobs für 1000€ brutto, dann sich in der Stadt keine Zukunft aufbauen. Für viele ist der Ausweg ein Zurückkehren zu ihren Wurzeln in die Dörfer der Großeltern gewesen. Die neue Generation von Winzern und Önologen kam bestens ausgebildet zurück, mit Ideen von Nachhaltigkeit, einer ordentlichen Prise Nonkonformismus und Überzeugungen von ökologischer sowie sozialverträglicher Bewirtschaftung. Den Weltmarkt mit billigen Wein zu versorgen ist nicht mehr das Ziel, sondern sich vielmehr die harte Arbeit und die gute Qualität der alten Reben angemessen bezahlen zu lassen. In Spanien entstehen wieder viele Kulturlandschaften, in denen der Mensch den Boden nicht ausbeutet, sondern in Einklang mit ihm die bestmögliche Qualität erzeugt und selbstbewusst einen fairen Preis fordert. Es wäre schön, wenn das überall auf der Welt Nachahmer findet. Es wird nur funktionieren, wenn die Konsumenten auch einen Beitrag leisten und sich genauso emanzipieren von der billigen Massenware der Discounter.
Artikel: Bodega Rico Nuevo – willkommen in Spaniens neuer Winzerelite
Quelle: https://blog.inbarrique.de/8