Frankreich verstehen mit La Chablisienne

Frankreichs neuester Schrei ist ein alter Hut. Seit zwei Jahren machen sich alle Weinhändler wieder über ihn her, dem Chablis aus Chablis.
Frankreich verstehen mit La Chablisienne

Die Geschichte „Totgesagte leben länger“ ist so einfach und erzählt sich wie folgt: War schon immer so, war halt vergessen und jetzt sind wir „back to the roots“ und haben ihn wieder ausgegraben. Zeitgeist olé olé... das Ganze zum Glück auch noch ohne Retrodesign, richtig authentisch. Trinkt wieder alle Chablis!

Nun ja, wir können hier nicht alle Phänome des Weinmarkts verstehen und analysieren. Fakt ist aber: Chablis kommt meist sehr traditionell daher, erfreut sich aber seit einigen Jahren wieder richtiger Beliebtheit. Üppigere Jahrgänge wie 2018 begünstigen den tendenziell kargen Weißwein und grundsätzlich herrscht wieder eine leichte Hinwendung zu schlanken „trinkigen“ Weinen, wie es in der seltsamen Sommeliersprache heißt. Der Chablis ist also wieder en vogue. Die ersten Flaschen, die einem so begegnen, sind meist von La Chablisienne, der Genossenschaft vor Ort.

Ein wenig Geschichte

Im Jahre 1923 fanden sich einige Winzer zusammen und vereinten ihre Kräfte zur „Societé Coopérative La Chablisienne“. In ganz Europa gründen sich in dieser Phase Winzergenossenschaften. Bitter nötig war dies, denn man wurde bereits mehrere Jahrzehnte lang geplagt durch den Mehltau und die Reblaus, die sich nach und nach durch Europa gefressen hat. Dann auch noch Krieg und Weltwirtschaftskrise. Ohne das Genossenschaftswesen würde es Wein nicht mehr in dieser Vielfalt geben. Ganz viele Wein produzierende Regionen wären einfach eingegangen.

Zurück zu la Chablisienne. 1947 fusioniert man dann mit der 1928 gegründeten Genossenschaft „La Cave Chablisienne“ zur „Cave Cooperative La Chablisienne“. Heute sind es insgesamt 255 beteiligte Winzer die ca. 1250 Hektar bewirtschaften. Dazu kommen noch die Trauben von etwas mehr als 50 Vertragswinzer. Etwas mehr als 20% der Weine des gesamten Gebiets Chablis wird mit dem Namen La Chablisienne vermarktet. 1999 konnte man einen großen Coup landen. Chateau Grenouilles und die dazugehörige Grand Cru Lage Grenouilles wurden dazugekauft. Mit diesem Prestige-Objekt setzt man sich eine Krone auf und verfügt nun über ein quasi Monopol für eine Grand Cru Lage.

Heute so stark wie nie

Die Genossenschaft La Chablisienne ist eine starke Genossenschaft. Stark, weil viele Winzer hervorragende Parzellen einbringen und das önologische Team diese Qualitäten auch umsetzen kann. Infolgedessen ist La Chablisienne zu einer starken Marke geworden. Vergleichen kann man das mit der Domäne Wachau und den Produttori del Barbaresco. In den Werbeanzeigen der Weinhändler liest man dann: „La Chablisienne ist die Genossenschaft in Chablis. Eine der besten Genossenschaften überhaupt...“ Im allgemein Genossenschafts-Narrativ kann das missverstanden werden, als ob La Chablisienne für eine Genossenschaft sehr gute Weine machen würde, die dann verglichen mit den Privatwinzern „ganz ok“ wären. Aber das trifft es bei weitem nicht. La Chablisienne bringt eine Qualität auf die Flasche, die in jeder Preisstufe absolut spitzenmäßig ist und deswegen - gemessen an der Menge und Reichweite ihrer Produkte - so erfolgreich ist. Dadurch ist sie zum Aushängeschild ihrer Region geworden. So eine Konstellation gibt es sehr selten. Die Genossenschaft ist auf dem Markt der Botschafter für den Chablis. Die ganze Region kann ziemlich stolz darauf sein (auch die Stars wie Moreau, Fèvre und Raveneau, die natürlich höhere Preise erzielen, weil sie ihr eigenes Süppchen kochen). Die Durchschnittsqualität in Chablis ist aber enorm, wenn man bedenkt dass die Genossenschaft die Messlatte so hoch setzt. Dadurch ist Chablis bestens für die Zukunft aufgestellt.

Für den Konsumenten ist La Chablisienne übrigens auch eine hervorragende Lehrmeisterin, quasi ein flüssiges Museum für französische Weinkultur. Mit einem Glas Chablis von La Chablisienne bekommt man so viel mehr als nur einen Moment savoir-vivre: Wir lernen das französische AOC-System und die Rebsorte Chardonnay kennen. Und wir kommen mit la Chablisienne dem Gespenst näher, das in Europas Weinwelt umhergeht und in aller Munde ist, dem Terroir.

Vier mal eins – die Chablis-Deklination

Je nachdem auf welchen Weinbergen meine Trauben im Gebiet Chablis (5000ha) wachsen darf ich als Winzer eine von vier verschiedenen Qualitätsstufen auf mein Etikett schreiben. Bis auf den Petit Chablis haben alle aber eine Besonderheit gemeinsam. Sie wachsen auf dem berühmten Kimmeridgium, eine Erdschicht des Spätjura bestehend aus einem stark kalkhaltigen Tongemisch, das vor mehreren Millionen Jahren der Boden eines Urmeers war und deswegen voller petrifizierter Muscheln und Austern ist. Die Franken unter euch sagen dann: Moment, das ist ja unser Muschelkalk. Ja genau und in Südengland befindet sich der gleiche Boden. Das Städtchen Kimmeridge in der Grafschaft Dorset ist eben namensgebend für dieses Erdzeitalter.

AOC Petit Chablis

Wir fangen an mit dem Petit Chablis. Unkompliziert war hier das Stichwort sein. Ein frischer fruchtig-zitrischer Weißwein aus den nicht so kalkhaltigen, höher gelegenen Plateaux, dort wo das Kimmeridgium nicht mehr zu Tage tritt. Ungefähr 20% der Weine werden als Petit Chablis gefüllt und sollen so ein bis zwei Jahre nach der Ernte getrunken werden. Was macht man damit? Apéro oder Kir - der Petit Chablis ist jetzt nicht der kraftvollste Wein, als Essensbegleiter vielleicht ein wenig zu dünn. Immerhin wirkt seine freche Säure als belebende Mundspülung und daher eignet er sich wunderbar zu allerlei frittiertem Kleingetier aus den salzigen Meereswelten. „Pas si petit“ von La Chablisienne, behauptet sich genau auf diese Weise, klein aber oho.

AOC Chablis

Der überwiegende Teil der Weine entfällt auf die Bezeichnung AOC Chablis (3700ha), so gesehen die Village-Ebene der Klassifikation. Zu La Chablisienne gehören etwas 700 Hektar. Die Weine sind dann Cuvée aus meistens flachere Lagen an den Ufern der Flüsse Serein und Yonne, die aber den charakteristischen Kimmeridge-Muschelkalk aufweisen. Er bringt diese salzige Note und Kalkigkeit in die Weine. Dieses gewisse etwas mehr an Dichte und Kompaktheit am Gaumen, wofür der Chablis so geliebt wird. In den allermeisten Fällen wird er nur im Edelstahl ausgebaut. Das Hefelager und das Alter der Parzellen werden somit zu den entscheidenden Stellschrauben für die Frage, ob man einen flintigen Stil mit brillianter Frucht bevorzugt, oder etwas mehr Cremigkeit und Körper. Bei La Chablisienne kann man diesen Unterschied hervorragend feststellen zwischen dem Finage als saftig-präziser Klassiker und dem Vénérables Vieilles Vignes (dt. Die Ehrwürdigen Alten Reben). Letzterer wird 14 Monate lang ausgebaut und bietet eigentlich schon eine Intensität, die bei vielen Häusern erst im 1er Cru zu finden ist.

AOC Chablis 1er Cru

Mit 1er Cru betreten wir die Welt der Einzellagen. Auf Französische lesen wir auch oft das Wort climats, im Englischen wäre das der Single Vinyard. Es gibt zwar auch die sogennanten Lieux-dits, also Gewannenname auf Village-Ebene, aber die spielen in Chablis keine Rolle. 1er Cru Lagen entsprechen in Deutschland den so genannten Ersten Lagen. Es sind 40 Einzellagen (insgesamt 780 Hektar) mit Kimmeridge-Muschelkalkboden, die sehr gut zur Sonne exponiert sind und auf denen gehaltvollere Trauben wachsen als auf den Village-Lagen. So lassen sich einige von den 40 climats zu 17 Haupt-climats zuordnen. Bei Montmains, einem der besten 1er Crus von La Chablisienne könnten auch Trauben aus den beiden anliegenden Lagen Butteaux und Fôrets drin sein, aber eben nur von diesen, weil sie auch als 1er Cru-fähig klassifiziert sind. Das tut der Qualität keinen Abstrich, sondern soll die Übersichtlichkeit auf dem Markt erleichtern.

Bei 1er Cru Qualitäten wird gerne mit ein wenig großem Holzfass gearbeitet. Die Weine liegen meist deutlich länger auf der Hefe, sind kraftvoller, expressiver und auch deutlich lagerfähiger. Nach 1-2 Jahren in der Flasche fangen sie an ihre Komplexität zu zeigen und sind bestens geeignet als ambitionierte Essensbegleiter.

AOC Chablis Grand Cru

Die Spitze der Pyramide ist in Chablis sehr überschaubar. Sieben zusammenhängende Weinberge, die sich am rechten Ufen der Serein in unmittelbarer Nähe zu Städtchen Chablis befinden, wurden als Chablis Grand Cru (101ha) bezeichnet. Blanchot, Valmur, Vaudesir, Les Clos, Bourgros, Les Preuses und Grenouilles. Die zuletzt genannte Lage befindet sich beinahe in Monopol-Besitz von La Chablisienne und bringt den besten Wein hervor. Für Grand Crus sind die Erträge sehr gering (max. 45 Hl/Ha, meistens deutlich weniger), der Wein wird fast immer Holz ausgebaut. Es kommen auch kleine Gebinde ins Spiel. Nichtsdestotrotz sind die Grand Crus aus Chablis der ganzer Stolz und die Antwort des Chablis auf die weißen Grand Crus der Côte de Beaune. Sie sind große Burgunder und im Gegensatz zu diesen sind sie zwar auch teuer, bleiben aber noch erschwinglich. Ich kann nur jeder Weinliebhaberin und jedem Weinliebhaber raten, den Château Grenoilles zu probieren. Es ist ein Erlebnis, das jeden Cent wert ist. Er braucht zwar viel Luft und eine ganze Zeit in der Karaffe, erzählt dann aber die Geschichte eines magischen Terroirs und zeigt wie man mit der Rebsorte Chardonnay einen kraftvollen, filigranen und mineralischen Weißwein machen kann. Ob man was Feines dazu isst oder einfach dionysisch frönt, bleibt jedem selbst überlassen.

Eine Rebsorte: Chardonnay

Chablis ist übrigens immer zu 100% Chardonnay. Das steht fast nie auf dem Etikett, denn jeder weiß ja, Chablis wird aus Chardonnay gemacht. Jeder? Wir in Deutschland reden immer so gern über Rebsorten und auf französischen Etiketten finden wir sie nirgends. In Frankreich trinkt man ja auch nicht Chardonnay oder Pinot Noir, sondern Meursault (100% aus Chardonnay) oder Pommard (100% aus Pinot Noir). Die Rebsorte wird in Frankreich nicht als Selbstzweck gesehen, sondern als Instrument, mit dem der Winzer die Herkunft der Trauben, also Weinberg und Klima, zum Erklingen bringt. Wir gehen ja auch nicht ins Konzerthaus um die Geige des Geigenbauers zu hören, sondern wir suchen uns einen Komponisten, der interpretiert wird von guten Musikern, die natürlich die richtigen Instrumente auswählen. Und La Chablisienne bedient sich des Chardonnays, der einzig zugelassenen Rebsorte um Chablis zu interpretieren. Das nennt man übrigens Terroir.

Exkurs: Chardonnay und Terroir

Früher oder später beschäftigt sich jede Weintrinkerin und jeder Weintrinker mit Chardonnay. Diese uralte Rebsorte hat ihren Ursprung irgendwo im Burgund. Es gibt ein Dorf im Burgund das genauso heißt, aber kommt die Rebsorte daher? Wahrscheinlich, lässt sich aber nicht belegen. Sie ist zweifelsohne die noble weiße Rebsorte aus dem Burgund und über Jahrhunderte hinweg prägt sie die Mehrheit der besten Weißweine. Weil ihre Güte und ihr Ruf so gut sind, ist auch das Rebmaterial Chardonnay im Laufe der Geschichte zu einem der wichtigen Exportgut Frankreichs geworden.

In allen Kontinenten wird Chardonnay angebaut und viele Winzer imitieren und messen sich mit den großen Weinen des Burgunds. Das hat im 20. Jahrhundert sehr bald zu einer gewissen Uniformität der internationalen Weißweinszene geführt. Die älteren unter uns haben dann vielleicht die Gegenbewegung mitgemacht, die sogenannte ABC-Welle der 80/90er Jahre. Chardonnay war weltweit so dominant geworden auf den Karten der Restaurants, dass er quasi schon als Synonym für Weißwein verstanden wurde. Also galt er irgendwann als „Boring old Chardonnay“ wie Jancis Robinson so schön formulierte, als sie über Riesling sprach. Man bestellte einfach grundsätzlich was Anderes („I’ll have Anything but Chardonnay“). Es begann die Sternstunde des Sauvignons und anderen Rebsorten und man lernte ein bisschen die Weinwelt außerhalb Frankreichs kennen. Diese Diversifizierung war wichtig und richtig, aber man hat Chardonnay nicht verdrängt oder ersetzt. Die Premiumqualität von Chardonnay kann man nicht ersetzen und immer mehr Winzer stellen fest, dass man mit ihr verdammt gut arbeiten kann, vor allem wenn man seine Herkunft zeigen will. Aus dem internationalen Star, der immer gleich aussah, ist ein lokaler Reiseführer geworden, der die Eigenschaften der unterschiedlichsten Erdteile zeigen kann. Am Kaiserstuhl oder am Ätna. Auf der ganzen Welt wird vermehrt Chardonnay gepflanzt, vor allem dort wo es um Terroir geht.

Man kann mit Chardonnay aber alle Arten von Genießer erreichen: Die Strahlkraft des Namens erreicht die Verfechter einer französisch-traditionellen Orthodoxie und auch die Fans von hochqualitativen Convenience-Produkten, die es etwas üppiger in der Art und einfacher auf dem Etikett bevorzugen. Dieses Spannungsfeld dekliniert sich dann zwischen Terroir und Markenprestige, zwischen filigran und opulent, animierend und cremig. Chadonnay saugt quasi die Umweltbedingungen sowie die önologischen Methoden auf und spiegelt diese ungeschönt wieder. The Winemaker’s grape wird sie auch international genannt. Chardonnays Klang ist sehr neutral, eigentlich glockenklar, mit zarter Steinobstfucht (wenn überreif wird’s ein wenig exotisch). Aber das alles auf einem sehr hohen qualitativen Niveau und relativ viel Extrakt und einer unnachahmlichen Fähigkeit Holz zu intergrieren. Im potenziellen Alkohol liegt sie mittel bis hoch, je nach Klon gibt’s da feine Unterschiede. Hast du es als Weinmacher nicht drauf, wird’s halt ziemlich langweilig. Aber wächst Chardonnay auf einem guten Weinberg und du hast die Erfahrung oder das Können damit umzugehen, mon dieu, wird das dann gut!

25.04.2022
Datum:
Artikel: Frankreich verstehen mit La Chablisienne
Quelle: https://blog.inbarrique.de/13

Cookies

Diese Seite verwendet Cookies? Mit klicken auf Akzeptieren gestatten Sie deren Einsatz.