Marques de Murrieta – eine Geschichte von Mut und Geduld

Erst 24 Jahre alt und grade fertig mit dem Studium war die junge Önologin Maria Vargas, als ihr der Posten als Chief-Winemaker von Marques de Murrieta angeboten wird.
María Vargas, Chef-Önologin
María Vargas, Chef-Önologin

Sie hatte zwar vielversprechendes Talent gezeigt, fühlte sich aber noch nicht bereit für diese immens verantwortungsvolle Aufgabe. Ihr Chef akzeptierte aber kein Nein. Vicente Dalmau Cebrián-Sagarriga, dessen Vater Vicente Senior kurz davor mit nur 47 Jahren gestorben war und ihm und seiner Schwester Christina ein riesiges Weingut hinterließ, wurde schließlich auch nicht gefragt, ob er das jetzt wolle. Er übernimmt mit 26 Jahren die kommerzielle Leitung, Cristina die Finanzen und Maria soll den Wein machen... Wir schreiben das Jahr 1996, den Beginn einer stillen Transformationsperiode des historischen Weinguts Marques de Murrieta, einem der Hauptvertreter der Rioja, den die Zeit vielleicht etwas überholt hatte. Vicente beweist viel Mut mit seinen Entscheidungen. Auch die Weine und die Produktpalette ändern sich. Langsam und stetig wird hier umgekrempelt und dann an den Entscheidungen festgehalten. Die Geduld hat ihn belohnt. Mit Maria Vargas’ Ernennung durch Tim Atkin MW zur besten Önologin der Rioja im Jahre 2017 hat dieser Prozess einen Höhepunkt erfahren und schließlich dann 2020 mit der Fertigstellung der neuen Kellerei auf der Finca Ygay ein beeindruckendes Ziel erreicht. Murrieta steht jetzt ziemlich gut da. Mittlerweile sieht die Finca Ygay so aus wie eine Kleinstadt, die um ein Schloss herum entstanden ist. Eine Kleinstadt zur Erzeugung von ganz schön viel hochwertigen Wein. Die Hauptakteure Vicente, Maria und Cristina sind heute um die 50 Jahre alt. Sie werden vermutlich Murrieta, die Rioja und die spanischen Weinwelt noch eine Weile entscheidend mitprägen. Man kann sehr gespannt sein.

Vicente Dalmau Cebrián-Sagarriga
Vicente Dalmau Cebrián-Sagarriga, Präsident von Marqués de Murrieta
Marques de Murrieta Anwesen

Ursprung und Geschichte

Das berühmte Weingut ist der Ausgangspunkt des modernen Weinbaus in der Rioja und schon immer ein Leuchtturm für die Herkunft Rioja. 1852 gründete der umtriebige Luciano Murrieta das Weingut unweit der Hauptstadt Logroño. Er war ein gut betuchter spanischer Adliger aus Peru, quasi ein Sohn von Expats, der diese Finca geerbt hatte. Er scheute keine Mühe hier das aufzubauen, was ihm so bei seinem Aufenthalt in Frankreich so gefallen hatte.

Ein Château nach Grand-Cru-Classé-Vorbild aus Bordeaux, perfektioniert für den

Ausbau und Export von Premiumweinen. Château Ygay, wie es damals hieß, war der erste in Flaschen exportierte Rioja, sogar noch einige Jahre vor der Reblauskatastrophe in Frankreich, die den Stern der Rioja als Substitutionsmarkt international aufgehen lies. Um die Jahrhundertwende und weit in das 20. Jahrhundert hinein florierte der Weinhandel der Rioja mit der Außenwelt. Während er Franco-Diktatur wird es jedoch stiller mit Außenhandel, Innovation und Investition. Natürlich

war Marques de Murrieta immer noch ein Aushängeschild. Man legendäre Jahrgänge wie den 1964er oder den 1978er betrachtet. Aber ein leichter struktureller Verfall hatte da schon eingesetzt. Die Familie Murrieta war dann bis in die 80er Jahre am Ruder. Vicente Cebrián Senior, aus der Baubranche kommend, war vernarrt in das Weingut und kaufte er es bei erster Gelegenheit. Sein früher Tod schubste seine Kinder ins kalte Wasser. Die turbulenten Jahre der spanischen Politik waren vorbei aber es folgten turbulente Jahre für eines der bekanntesten Weingüter der spanischen Spaniens und das in wirtschaftlich sehr instabilen Zeiten. Finanz- und Baukrise machten vielen spanischen Weingütern zu Schaffen. Glücklicherweise war Marques de Murrieta „too big to fail“.

Marques de Murrieta Castillo

Murrieta heute

Bei Murrieta werden nur die Trauben aus der 300 Hektar großen Finca um das Castillo herum verarbeitet. Es gibt kein Zukauf von Wein, Most oder Trauben. Das ist sehr ungewöhnlich für die Rioja aber konsequent zum Château-Prinzip des Weinguts. In der Weinliteratur der 80er und 90er liest man sehr gemischte Kritiken. Aber Vicente Dalmau Cebrián-Sagarriga hat mit seinem Jungen Team auch dieses giftige Schlangental langsam und zielstrebig durchquert und Murrieta wieder an die absolute Spitze der Rioja geführt. Es werden etwas mehr als eine Million Flaschen hergestellt. Der Großteil davon fällt auf die Reserva, die dem Endverbraucher so um die 20€ wert sein sollte. Aber vom Spitzenwein Ygay werden beeindruckende 130 000 Flaschen hergestellt.

Das ist eine ganze Menge für einen Wein, der dreistellig kostet. Gemeinhin wird es stilistisch als traditionelles Haus eingestuft, aber meines Erachtens beschreiten sie einen sehr erfolgreichen Mittelweg zwischen Tradition und Moderne. Einige Journalisten haben es treffender als Neo-Klassiker bezeichnet. Cebrián-Sagarriga erweiterte die Produktpalette auch mit Weinen moderner Stilistik wie den Dalmau. Und für die Reserva wurde die Zeit im Barrique von fünf auf zwei Jahre verkürzt. Gleichzeitig kam ab jetzt auch neues Holz ins Spiel. Der weiße Rioja Capellanía wurde in französischen statt amerikanischen Barriques ausgebaut. Auch hier die Zeit im Fass verkürzt. Nur bei Ygay wird die Tradition konsequent hochgehalten. Da wird nur ganz leicht an den Stellschrauben gedreht, um ihn zu perfektionieren. Ab dem Jahrgang 2001 zum Beispiel nur eine Spur neues Holz, das sich nach dem Reifungsprozess kaum bemerkbar macht. Das ist aber auch ein Rotwein, der schon immer einen ikonischen Charakter hatte.

Marques de Murrieta – die Weine

Marques de Murrieta Finca Ygay Reserva

Es ist wohl der weltweit bekannteste Rioja Reserva, eine Marke an sich, die in der gehobenen Gastronomie als erstes bei Rioja auftaucht. Nicht irritieren dass das Ygay auf dem Etikett steht. Die Trauben stammen hier auch alle aus der Finca Ygay (aber es ist nicht der Castillo Ygay, sondern „nur“ die Reserva des Weinguts.) Die Parzallen liegen etwas niedriger als beim Castillo Ygay, zwischen 300-460 Metern über dem Meeresspiegel. Die Cuvée besteht aus 80-90% Tempranillo, ergänzt von Graciano, Mazuelo und Garnacha, je nach Jahrgang unterscheidet sie sich ein bisschen. Er wird zwei Jahre in amerikanischen Holz ausgebaut und verbringt weitere drei Jahre auf der Flasche. Erst fünf Jahre nach seiner Entstehung wird er auf den Markt gebracht. Somit könnte er eigentlich rein technisch auch eine Gran Reserva sein. Aber bei Murrieta ist das nur der Einstieg in

die Weinwelt. Er verkörpert die Geschichte des Hauses wie kein anderer Wein. Eine traditionelle Architektur mit reifen rotbeerigen Grundgerüst, straffer Säure und den Aromen der amerikanischen Eiche wie Kokos, Vanille und Schokolade. Dazu einen Hauch modernes Ornament mit zupackenden Tanninen, würzigen Anklängen von Pfeffer, Paprika und Thymian. Ein edler Riojaner, der sich international anzuziehen weiß.

Marques de Murrieta Gran Reserva Limited Edition

Soso, Limited Edition, ich lese das immer ungern. Schreit förmlich nach einem Marketing-Nepp. Aber Entwarnung: Es handelt sich hier wirklich um Selektion der besten Fässer aus der Reserva, die nur dann vorgenommen wird, wenn der Jahrgang hervorragend ist. Und es werden nur knapp 30 000 Flaschen hergestellt. Klingt nach verdammt viel, aber im Vergleich zur Reserva (knapp eine Million Flaschen) ist es dann doch überschaubar. Er wird dann etwas länger im Fass gehalten und bleibt länger auf der Flasche bevor er so nach 7 Jahren auf den Markt kommt. Von der Art her wie die Reserva, nur eben konzentrierter und samtiger. Man kann ihn noch lange lagern, aber eigentlich ist er schon sofort trinkfertig.

Dalmau

Der moderne Star ist der Kategorie „Super-Reserva“ zuzuschreiben. Nicht so lange im Holz wie ein Gran Reserva, aber mit einer immensen Strahlkraft und Qualität, die viele Gran Reservas bei weitem übertrumpft. Rioja mit internationaler High End-Charakteristik. Er kommt aus einer anderen 9ha großen Einzellage des Hauses. Der Pago Canajas liegt auf 485 Metern und ist mit hundert Jahre alten Reben bestockt. Die bringen dann nicht mehr als ein Kilo pro Stock. Äußerst konzentrierte reife Frucht kommt in die Kelter und verträgt dementsprechend beim Ausbau deutlich mehr Neuholz. Nach den knapp zwei Jahren in neuen französischen Barriques ist Dalmau ist sogar der limitierteste Wein von Murrieta. Kraftvoll, muskulös und tiefgründig, mit dunkelbeerigen Grundgerüst und einem herben Charakter aufweist. Er ist gewappnet für eine lange Lagerung, braucht aber auch nicht lange um die Kanten abzurunden. Als Begleiter für ein deftiges Gericht ist er auch in jungen Jahren eine sichere Bank.

Castillo Ygay

Ein Rotwein der Superlative. Nur in Top-Jahrgängen wird er erzeugt. Die Trauben wachsen auf einem 40 Hektar großen Weinberg, dem 1950 gepflanztem Pago la Plana, dem Herzstück der Finca Ygay. 84% Tempranillo, 16% Mazuelo (ändert sich leicht von Jahrgang zu Jahrgang). Tempranillo in amerikanischer, Mazuelo in französischer Eiche. Mazuelo ist auch bekannt als Carignan, ein dunkle und intensive mediterrane Rebsorte die der Cuvée ein kerniges Rückgrat verleiht.

Er reift mindestens zehn Jahre im Keller. Zuerst werden die Rebsorten getrennt gehalten. Nach zwei Jahren gibt’s eine strenge Fassselektion und wer es nicht schafft, kommt in die Reserva. Weitere zwei Jahre Ausbau aber schon vermählt. Dann nochmal eine lange Flaschenreife. Einfach nur verrückt wieviel Zeit man hier investiert. Es erinnert an schottische Single Malts. Was man mit so einer Flasche machen sollte, wann man sie öffnet, zu welchem Essen et cetera et cetera, darüber könnte man auch seitenweise Bücher schreiben. Spielt irgendwie alles eine untergeordnete Rolle, denn sobald eine Flasche Castillo Ygay geöffnet wird, ist es ein unglaublicher Genussmoment. Dafür haben Maria und ihr Team schon gesorgt.

Kleiner Exkurs zum Schluss: Flaschenabfüllung und die Qualität von Rioja

Beim Nachdenken was man über Marques der Murrieta schreiben soll, ist mir eine Besonderheit der Rioja aufgefallen. Eine der Regularien zur Qualitätskontrolle der DOCa Rioja schreibt vor, dass kein Tropfen Wein außerhalb der Region abgefüllt werden darf und wirklich alles in Glasflaschen gefüllt werden muss. Für viele Verbraucher mag es befremdlich erscheinen, dass ich das als so besonders herausstelle, aber vergleichen wir das doch mal bitte Weinbauregionen in der Größenordnung der Rioja (63000 Hektar). In Bordeaux und der Rhone wird gerne auch in Schläuche gefüllt (Bag in Box) und in Apulien lässt man häufig den Tanklaster füllen, die Brühe wird nach Norden gekarrt und beispielsweise im Trentino abgefüllt. Die Produktion ganz Südafrikas könnte man mit Schiffen nach England fahren und dort füllen. Nur in wesentlich kleineren Appellationen wie zum Beispiel im Chianti Classico (7000 ha) oder Barolo (2000 ha) finden wird eine ähnliche Richtlinie umgesetzt.

Flaschenabfüllung ist nicht zwangsläufig ein Qualitätskriterium und ja, man findet einen Rioja schon sehr günstig in den Supermarktregalen (ab 4€ geht’s los). Aber die untere Kostenschmerzgrenze erreicht man dadurch schon früher als woanders, wenn man bedenkt was die Deutschen so im Schnitt für den Liter Wein ausgeben. Diese so etwas wie eine „Marketing-Selbstkasteiung“ wirkt sich positiv auf die Qualität und das Vertrauensverhältnis zu den Kunden aus. Deswegen meine Empfehlung: Kauft Rioja! Ihr könnt ihm vertrauen. Früher wurden Moste aus Valencia, Utiel-Requena und Jumilla in die Rioja zur Farbstabilisierung und Farbverstärkung gebracht, spätestens seit 1991 die Region ihre Bestimmungen mit der Erhebung zur Denominación der Origen ist das Geschichte. Häuser die Wert auf einen guten Ruf legen, haben schon Jahrzehnte lang nicht mehr gemacht. Oder eben nie wie Marques de Murrieta.

07.04.2022
Datum:
Artikel: Marques de Murrieta – eine Geschichte von Mut und Geduld
Quelle: https://blog.inbarrique.de/12

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